Als ich mich von Sachsen aus auf den Weg an die nordirische Küste aufmachte, war ich – wie alle zis-Stipendiaten – jung. Jung in den Knochen und im Geist, voll des Übermutes, des Tatendrangs, des Fernwehs, aber auch jung an Erfahrungen. Jung genug, um sich auf ein Abenteuer einzulassen, denn genau das ist eine jede zis-Reise. Es ist keine gewöhnliche Reise, bei der vorher und nachher der Alltag wartet. Meine Reise hat mir zu solch nachhaltigen Eindrücken verholfen, dass ich es vom ersten Tag an nicht als Urlaub empfunden habe, sondern schlichtweg als Leben.
Anders als ein Tourist kommt man allein, mit wenig Geld und Plan in eine unbekannte Welt. Ich konnte mir weder Zurückhaltung, noch Vorurteile leisten und diese Grundeinstellung half mir, all das zu erleben, woran ich mich immer wieder gern zurückerinnere. Die Philosophie des Reisens, die sich hinter zis verbirgt, ist dabei nicht zu unterschätzen. In überfüllten Fernbussen brauchte es dreieinhalb Tage, sowie einen Zug und zwei Fähren, um schließlich Belfast zu erreichen. Man mag sagen, dass dies eine heutzutage unverhältnismäßig lange Zeit für eine solche Distanz darstellt. Doch wer einmal am eigenen Leibe erfahren hat, wie viel einem entgeht – sei es an Landschaften, Begegnungen oder Kreativität in Phasen der großen Langeweile bzw. der Schlaflosigkeit -, wenn man die Welt im Flugzeug in Windeseile überfliegt, will nie wieder auf die Strapazen einer 9-Etappen-Reise verzichten.
Innerhalb Irlands habe ich mich dann auf vielfältige Weise zu meinen Zielen an allen Enden der Insel bewegt. Unter anderem bin ich getrampt und wer hätte ahnen können, dass ausgerechnet diese aus infrastrukturellen und finanziellen Gründen geborene Entscheidung mir so viel Freude bereiten würde. Zis schafft eine ungewohnte Situation, in der man auf das Gute in fremden Menschen angewiesen ist und die einen motiviert, neue Wege zu gehen oder wie in diesem Fall zu fahren.
Während der Reise lernte ich besonders einen Aspekt des zis-Stipendiums zu schätzen, den ich bisher nicht in dem Maße wahrgenommen hatte: Das Reisestipendium ermöglicht nicht nur, mit finanzieller und ideeller Unterstützung ein persönliches Forschungsprojekt durchzuführen. Es ist auch die Möglichkeit, sich auf eine solche Organisation berufen zu können, die jungen Menschen Selbstbewusstsein im Umgang mit Menschen und Einrichtungen im Ausland gibt. Ohne diesen Rückhalt, würde man sich wohl niemals trauen, Leute auf diese direkte Weise zu kontaktieren. Dank der Bereitschaft von NGOs, Museen und Politikern, mein Projekt zu unterstützen, habe ich meine offenen Fragen zum Zustand der gesamtirischen Gesellschaft 100 Jahre nach der irischen Unabhängigkeitserklärung ausführlich und aus erster Hand beantworten können.
Als sich meine Reise dem Ende näherte, wurde es Herbst in Irland und da ich mir für diese Zeit des Jahres die Atlantikküste vorgenommen hatte, harrte ich teilweise mehrere Tage am Stück in meinem Zelt aus. Es ist vielleicht nicht ganz verblüffend, dass ich in dieser Zeit viel über mich selbst lernen konnte. Geholfen hat dabei neben der Einsamkeit und der Fremde auch die Aufgabe, ein Tagebuch zu führen. Ich hätte es ehrlich gesagt vorher niemals in Erwägung gezogen, mich sogar mehrfach täglich, auch noch handschriftlich mit meinem eigenen Leben auseinander zu setzen, doch ich habe dieses Ritual liebgewonnen und in der Hast des Alltages nach der Reise das eine oder andere Mal sehnlich vermisst.
Vor allem auf der Schwelle zwischen Schule und dem „Danach“ – zwischen Kindheit und Erwachsensein hat mir dieser Monat des einsamen Reisens und der regelmäßigen Reflexion geholfen, mit mir selbst ins Reine zu kommen. Neben meinem Projekt und dem Kennenlernen eines fremden Landes blieb viel Zeit. Zeit, von der ich nicht erwartet hätte, dass ich sie rückblickend als gleichermaßen produktiv bezeichnen würde, doch mit all den gesammelten Eindrücken im Hinterkopf, konnte ich besser denn je über die Welt und mich nachdenken und Entscheidungen für die Zukunft treffen, die ich, zumindest ein Jahr später, noch nicht bereut habe.
Rückblickend ist es kaum zu glauben, wie viel ich auf meiner Reise über Menschen, mich selbst, das Reisen und die Welt gelernt habe. Der Sprung ins kalte Wasser des Ungewissen und Fremden hat sich für mich mehr als nur gelohnt, ich kann ihn nur jedem ans Herz legen.