An einem regnerischen Sommertag betrat ich ein kleines Café, um mich mit Hildur Lillienthal zu treffen. Hildur war zu der Zeit die wohl bekannteste Feministin Islands und ich dementsprechend aufgeregt. Ich ratterte also erst einmal meine Interviewfragen herunter, bekam von ihr allerdings so interessante Ansichten zu hören, dass wir letztendlich in ein intensives Gespräch verfielen. Es ging um persönliche Freiheit, darum, was dies mit Feminismus zu tun hätte und wie sie auf ihre Aktionen gekommen ist. Aus den geplanten dreißig Minuten wurden zweieinhalb Stunden. Nachdem wir das Café verließen, kam es mir so vor, als schwebte ich über dem Boden. Ich fühlte mich verstanden, inspiriert und glaubte, dass ich wohl nie wieder so viel Neues auf einmal erfahren würde. Doch damit lag ich falsch: Es lagen schließlich noch dreieinhalb Wochen voller Aha-Effekte vor mir.
Rund ein Jahr ist seit meiner zis-Reise nach Island vergangen. Mein Ziel war es, unterschiedliche Sichtweisen über Gleichberechtigung zu betrachten. Wenn ich nun an diese intensive Zeit zurückdenke, prasseln erneut viele Eindrücke auf mich ein. Diese zu sortieren, fällt mir nicht leicht.
In Island angekommen, traf ich eine erste Feststellung: Die Mehrheit der Leute, die sich für Gleichberechtigung einsetzten, nannten sich hier bewusst Feministen. Und das mit voller Überzeugung! Hinter dem in Deutschland oft gefürchteten Begriff Feminismus entdeckte ich eine Menge spannender Dinge, die vom deutschen Klischee weit entfernt sind. Während ich die feministische Szene immer besser kennenlernte, wurde mir ihre Vielfältigkeit bewusst. Es sind Menschen mit unterschiedlichen Ansichten, Schwerpunkten und Arbeitsweisen, natürlich Männer und Frauen, Menschen allen Alters. Was sie alle vereint, sind Werte wie kritisches Hinterfragen, Kreativität, Humor und eine Mentalität des Anpackens.
Besonders im Kopf geblieben sind mir die kreativen Lösungswege für die Probleme unserer Welt. Ein Beispiel ist das Start-up „Reconesse“, dessen Ziel es ist, eine Art Wikipedia für Frauen in der Geschichte zu gründen. Dass Frauen in der Geschichte unterrepräsentiert sind, ist bekannt. Nun soll es eine Möglichkeit geben, sich übersichtlich und unkompliziert über Heldinnen, Wissenschaftlerinnen und auch Verräterinnen, die am Rad der Geschichte gedreht haben, zu informieren.
Auch andere Projekte fanden meine Begeisterung, wie die „NO! Campaign“, die sich gegen Vergewaltigungen auf Festivals einsetzt oder das „GEST“-Projekt, das durch das Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ in einer sehr positiven Weise Gleichberechtigung in Entwicklungsländern fördern will.
Über meinen Entschluss, das Thema offen, ohne speziellen Fokus anzugehen, war ich sehr froh. Nur so gab es genügend Raum für neue Ideen, mit denen ich nie gerechnet hätte.
Die Gespräche, die ich führte, fanden nur selten in Büros statt. Meistens traf ich mich mit meinen Gesprächspartnerinnen in typisch isländischen Cafés, Konzerten, auf Südseite-Balkons oder unter Häuserdächer. Manche zeigten mir sogar ihren Lieblingsort. Ich habe es sehr geschätzt, dass die Isländer nicht nur ihre persönlichen Meinungen und Erfahrungen zum Feminismus mit mir teilten, sondern mich auch in ihr beeindruckendes Land einführten.
Besonders meine Gastmutter María machte mich mit der isländischen Kultur und den Höhepunkten der wunderschönen Landschaft bekannt. Ihre Worte, „If you haven't experienced that, you haven't seen Iceland“, habe ich noch gut im Kopf.
Ich hatte das Glück, Menschen zu begegnen, die sehr liebenswert und interessant waren und bemerkte, wie schnell auf dieser Reise Fremde zu Freunden wurden.
Die Offenheit und Gastfreundschaft, die mir dabei begegnete, war manches Mal überwältigend. Ich fragte mich oft, ob ich das wirklich alles annehmen könne. Mir wurde so viel gegeben und ich hatte das Gefühl, kaum etwas zurückgeben zu können. Natürlich half ich, wo immer es ging. Außerdem war die Zeit, die wir gemeinsam genossen, das Größte, das wir hatten. Dass mir als Fremde oft bedingungslos geholfen wurde, war eine bleibende Erfahrung.
Diese Form der „radikalen Gastfreundschaft“, die ich dort gelernt habe, möchte ich heute unbedingt selbst weitergeben. Die Idee zu geben, um andere wachsen zu lassen, in der sicheren Hoffnung, dass sie durch ihr Wachstum später wiederum geben können, hat sich als ein Hauptgedanke meiner zis-Reise herauskristallisiert. Glücklicherweise durfte ich diese Idee gleich doppelt erleben!
Alleine und mit viel Zeit zu reisen war eine sehr wertvolle Erfahrung. Ich habe durch diese neue Freiheit gelernt, auf mich selbst zu hören, mich und meine Grenzen auszuprobieren. Als besonderen Vorzug des Alleinreisens empfand ich es auch, mich auf Menschen einlassen zu können, die sehr anders waren und von denen ich dennoch lernen konnte.
Die sechs Wochen zis-Reise waren eine meiner intensivsten Zeiten, für die ich sehr dankbar bin. Mich Herausforderungen zu stellen und mich intensiv mit Themen auseinander zu setzen, die mich begeistern, hat mir Vertrauen in mich selbst gegeben. So war es bestimmt nicht das letzte Mal, dass ich im „zis Stil“ gereist bin.